Tag der Deutschen Einheit. Festrede des Bundespräsidenten.

In fast jeder Berichterstattung kommt irgendwo eine Wendung vor, ungefähr so: der Bundespräsident habe dies und jenes gesagt, „ohne die AfD beim Namen zu nennen“.

Stellenweise richtig. Steinmeier hat zum Beispiel angemahnt, das „Wahlergebnis“ nicht allein bei den Parteien abzuladen. Richtig: beim gesamten politisch-medialen Kartell abladen! Bei den Medien, den Gewerkschaften, den Nicht-Regierungsorganisationen. Bei allen, die die AfD anfeindeten, weil sie die merkelsche Gesetzlosigkeit beim Namen genannt hat. Dieses Wahlergebnis kann man wirklich nicht bei der AfD „abladen“, dieser Teil der Rede ist tatsächlich nicht gegen die AfD gerichtet.

Soweit der Rückblick. Die Rede bezieht sich auch auf die Zukunft, auf Dinge, die künftig besser gemacht werden sollen. Nun zu allem Verbesserungswürdigen gehört das Eigeständnis: Es wurde früher falsch, mitunter grundfalsch gemacht, und trotzdem wurde jede Kritik mit Entrüstung zurückgewiesen.

Beispiele:

  • Steinmeier mahnt einen ehrlichen Umgang mit dem Flüchtlingsproblem an.

Will sagen: Der Umgang war bisher zutiefst unehrlich, ja verlogen.

  • Wir (das Establishment) wollen „die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder auf der Flucht vor Armut ist“.

Will sagen: Dem Kartell ist die Unterscheidung abhanden gekommen. (Korrekter wäre: es hat den Unterschied hartnäckig geleugnet, und diejenigen, die die Unterscheidung forderten, denunziert.)

  • Die Sehnsucht nach Heimat dürfe nicht den „Nationalisten“ überlassen werden.

Will sagen: Sie wurde sehr wohl, wem auch immer, überlassen.

Eine Anmerkung zum letzten Punkt. Wir wollen die bewußte Fälschung und plumpe Denunziation (die AfD habe den Begriff „Heimat“ als den „Blödsinn von Blut und Boden“ konstruiert) vorerst unkommentiert lassen. Was ins Auge sticht, ist die Häufigkeit des Wortes „Heimat“ in der Festrede. Bisher war es ein Unwort. Im politisch-medialen Kartell sprach man es selten ohne einen Gesichtsausdruck des Ekels aus. In der Festrede zählte ich neunzehn Treffer (zum Vergleich: „Demokratie“ kommt nur neunmal vor), alle positiv besetzt.

Steinmeier beklagte auch die „Mauern rund um die Echokammern im Internet, wo der Ton immer lauter und schriller wird.“ „Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung und Wut“ seien bei manchen so fest geworden, dass Argumente nicht mehr durchdrängen. Doch nicht alle, die sich von den etablierten Parteien abwenden, sind Feinde der Demokratie.

An dieser Stelle muß man aufhorchen. Ist der Bundespräsident dabei, der Wahrheit ins Auge zu sehen? Der AfD Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Wir, bei der AfD, haben ja Entfremdung, Enttäuschung und Wut genug erfahren! Weil unsere Ängste und Argumente nicht durch die Mauer der Willkommenstrance drangen! Oder weil die Echokammer der Medien sie nur mit Agitprop-Klischees beantwortete!

Doch keine Aufregung! Hinter diesen Mauern, sagt der Bundespräsident, werde tiefes Misstrauen geschürt „gegenüber der Demokratie und ihren Repräsentanten“. Er setzt also ein geographisch und historisch zufälliges Establishment glatt mit dem Idealbild Demokratie gleich. Er deutet die konkrete Parteienverdrossenheit in abstrakte Demokratiefeindlichkeit um.

Das ist nun unmissverständlich gegen die AfD gerichtet, und nur wenige haben es anders verstanden. Zum Beispiel Alexander Gauland, frisch gekürter AfD Fraktionschef im Bundestag. Er könne die Rede nicht als Kritik an der AfD verstehen.

Gauland mag einen höflichen, gelassenen, konzilianten Ton anschlagen wollen. Doch damit hat er die neue Realität der Republik beschönigt. Daß der „lautere und schrille Ton“ des Kartells gegen die AfD, nach ihrem großartigen Wahlsieg, nicht leiser wurde, sondern eine neue Intensität erreicht.

Das halte ich, bei allem Respekt, bedauerlich, weil irreführend. Denn der Bundespräsident hat nicht die Hand, zur Versöhnung, über die Mauer gereicht, sondern nur die bisherige Praxis der Verleumdung etwas subtiler fortgeführt. Anfangs hat er zwar Eigenschuld eingestanden. Zum Schluss hat er sie zurückgenommen, und die Schuld am eigenen Debakel als die Schuld der AfD hingestellt. Die AfD soll sich vor Argumenten (die in Wirklichkeit nicht kamen) verschlossen haben. Das Misstrauen gegen das Establishment soll keinen objektiven Grund haben, es wurde nur von der AfD „geschürt“.

Also nichts hat sich geändert. Nichts dazu gelernt. An der Oberfläche staatsmännisch. Unter der Oberfläche Ausgrenzung und Stigmatisierung. Eine demokratische Partei, ihre Millionen Anhänger sollen, nach ihrem historischen Wahlsieg, weiterhin der Quarantäne von Nichtdemokraten verwiesen werden.

Der Bundespräsident hat, unter den vielen Mauern, diese eine Mauer nicht erwähnt. Vielmehr hat er einen feierlichen Beitrag zu ihrer Zementierung geleistet.

 

Dr. Vilmos Holczhauser

Politikwissenschaftler